Wer in nostalgischen Erinnerungen an sowjetische Zeiten schwelgen möchte, sollte diesen Roman lieber gleich aus der Hand legen, denn die durch Rückblicke einzelner Personen ein Jahrhundert umfassende Erzählung vermittelt uns Lesern ein weiteres bedrückendes Kapitel deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts. In Eugen Ruges vielfach ausgezeichnetem Roman spiegelt sich der Untergang des europäischen Sozialismus im Schicksal einer Familie in der DDR.
Die Großeltern Charlotte und Wilhelm kehren aus dem mexikanischen Exil in den neuen deutschen Staat zurück, voller Enthusiasmus für die sozialistische Idee und die Möglichkeiten des Neuanfangs. Kurt, Charlottes Sohn kehrt mit einer russischen Frau aus sowjetischer Lagerinternierung zurück in die DDR, ernüchtert durch die Erfahrungen des stalinistischen Staates am eigenen Leib und doch noch immer erfüllt mit der Hoffnung, dass Veränderungen möglich sind. Für Alexander, Kurts Sohn, bedeutet die DDR ein Gefängnis aus dem er sich mit der Flucht in den Westen befreit und dabei seine Wurzeln verliert. Für Markus, Alexanders Sohn, wird die DDR nur eine Kindheitserinnerung bleiben, in der ihn die Mauer von seinem besten Freund trennte. Seine Erlebnisse zwischen Drogenkonsum und Diskotheken im wiedervereinten Berlin spiegelt die Orientierungslosigkeit und die Suche eines ganzen Landes nach einer neuen Identität wider.
Ich habe relativ lange gebraucht, um in die Geschichte hineinzufinden. Auch wenn es ab und an ein paar komische Situationen gibt, so ist die Stimmung des Romans insgesamt sehr bedrückend, was sich auch im Stil relativ kurzer Sätze widerspiegelt. Die subjektive Sicht der handelnden Personen ist vorwiegend negativ, egal um welche Situation, welche Erinnerung es sich gerade handelt. Einzig die Gedanken Nadjeshda Iwanownas, der russischen Großmutter Alexanders, sind von ausschließlich gutmütigem Charakter und bilden eine Insel in den von persönlichen Enttäuschungen geprägten Sichtweisen der anderen Familienmitglieder.
Wer Lust auf einen Familienroman des 20. Jahrhunderts hat und sich mit der jüngeren (ost-)deutschen Vergangenheit beschäftigen möchte, dem kann ich dieses Buch in jedem Fall empfehlen.